Kranke Mutter oder Karriere?

 Beruf und Angehörigenpflege sollte kein Widerspruch sein – „Lounge“ des Bündnisses für Familie

Als „Lounge“ war die Podiumsdiskussion des „Bündnis für Familie“ ausgeschrieben. Und komfortable Sitzgelegenheiten gab es zur Genüge. Das Thema im Konferenzzentrum des Technologieparks war jedoch alles andere als bequem: Es ging um „Beruf und Angehörigenpflege“. Oder wie es Manfred Zach, Leiter der Abteilung Sozialversicherung im Landessozialministerium, formulierte: „Wie können wir eine sehr rasch älter werdende Gesellschaft in die Lage versetzen, Arbeit und Pflege bei abnehmenden Personal zu verwirklichen?” Bereits heute sind mehr als zwei Millionen Menschen pflegebedürftig, 2020 werden es Schätzungen zufolge rund drei Millionen sein.

Über persönliche Erfahrungen berichteten einige der Podiumsmitglieder: Von einem Kind, dessen Krebserkrankung es notwendig machte, dass ein Elternteil zu Hause beb, von der Mutter, die an Leukämie erkrankt, von ihrem erwachsenen Söhnen nach Heidelberg geholt wurde, von einer Tante, deren Alzheimer-Erkrankung sich zusehends verschlimmerte.
Die Hauptlast der Pflege liege nach wie vor bei den Angehörigen und werde nahezu ausschließlich von Frauen bewältigt. Von ihnen gingen ein Drittel einer Erwerbstätigkeit nach, von den Männern die Hälfte, erläuterte Eva Schulte, die Leiterin des Kompetenzzentrums „Beruf und Familie“ Baden-Württemberg. Dennoch habe bei der SAP beispielsweise noch kein Mitarbeiter einen Antrag auf Pflegezeit gestellt, berichtete Heidrun Kleefeld, die in diesem Unternehmen für Projekte im Zusammenhang mit dem demographischen Wandel verantwortlich ist. Sie verwies auf die relativ junge Altersstruktur bei SAP, man sei aber dabei, die Führungskräfte zu sensibilisieren.

Alle sollten mitmachen

Oberbürgermeister Eckart Würzner nannte Vorschläge aus dem Rathaus, wonach beispielsweise Betroffene auf ein Stundenkonto vorarbeiten könnten, oder dass bei pflegebedingtem Ausscheiden die Wiedereinstellung garantiert werde. Er sprach sich dafür aus, die häusliche Pflege finanziell stärker zu unterstützen, um eine finanzielle „Schieflage“ im Vergleich zur Heimpflege zu beseitigen.
Das neue Familienpflegezeitgesetz werde der Realität besser gerecht, hofft auch Manfred Zach: „Fast jeder Betroffene möchte so lange wie möglich zu Hause gepflegt werden.“ Am 1. Januar kommenden Jahres soll das neue Gesetz in Kraft treten. Bei der Entwicklung einer familienbewussten Personalstrategie begleitet Benita von Kettler Unternehmen, Institutionen und Hochschulen der Metropolregion. “Lebensphasenorientierte Personalpolitik“ heißt das Stichwort, dem sie sich in ihrer Tätigkeit als Auditorin widmet, damit es etwa durch Pflegezeiten nicht zu einem Karriereknick kommt, unterdem nicht nur die Betroffenen, sondern auch die Unternehmen leiden würden. Die Personalbindung sei wichtig, es sei „betriebswirtschaftlicher Unsinn“, so Stefanie Seltmann vom Deutschen Krebsforschungszentrum, gut eingearbeitete Fachkräfte gehen zu lassen.

Nachbarschaftshilfe und soziale Dienste – ein Patchwork aller Beteiligten müsse zusammenarbeiten, forderten die Diskussionsteilnehmer. Und vor allem müssten den Betroffenen alle Informationen darüber zugänglich gemacht werden. Zudem sollte das Image der Pflegeberufe verbessert werden. Flexibel gestaltete Arbeitszeiten der pflegenden Angehörigen und deren finanzielle Absicherung, kompetente Ansprechpartner in den Behörden und Firmen – vieles müsse zusammenkommen, alle sollten mitmachen, damit die Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten den dramatischen Anforderungen auf diesem Feld gerecht werde.

(Quelle: Rhein-Neckar-Zeitung vom 04.04.2011, Manfred Bechtel)