Flexibel, aber nicht gleichberechtigt?

Warum die Selbstständigkeit oft eine Herausforderung für die Partnerschaft ist.

Immer mehr Mütter machen sich selbstständig oder gründen in der Elternzeit, um Familie und Beruf besser unter einen Hut zu bekommen. Doch wie gleichberechtigt kann ein Selbstständig-Angestellten-Paar überhaupt sein? Ein Annäherungsversuch von Alexandra Polunin-Müller.

Ich bin flexibel
Der Vorteil an der Selbstständigkeit für mich als Mutter ist: Ich bin flexibel. Der Nachteil: Ich bin flexibel. Lasst es mich erklären …

Wenn ich morgens meinen Fünfjährigen für den Kindergarten wecke, ist der Mann bereits außer Haus. Klagt das Kind über Bauchweh, ist klar: Ich bleibe heute mit dem Kind daheim. Der Mann ist ja schon weg. So weit, so logisch. Denn wie heißt es so schön: Ich bin ja flexibel.

Doch: Auch ich habe Termine. Da sind Deadlines für wichtige Kundenprojekte, Absprachen mit Kollegen, an die ich mich halten möchte. Das wichtige Live-Interview, das mich richtig pushen könnte … Zwar sitzt mir kein nörgelnder Chef im Nacken, der über die Einhaltung eines Terminplans wacht, doch das heißt nicht, dass ich den Tag nicht bereits für mein Business verplant hätte.

Bei genauerer Betrachtung bin ich also so flexibel wie ein Elefant beim Yoga – ich bin morgens einfach nur die erste Person, mit der das Kind spricht. Doch ehe man es sich versieht, ist ein Muster entstanden. Ein doofes, frustrierendes, für alle Beteiligten nervenaufreibendes Modell, das immer dann zum Tragen kommt, wenn Not am Mann ist: Die Selbstständige (die Mutter) bleibt mit dem Kind daheim. Der Angestellte (der Vater) geht weiter zur Arbeit.

„Du bist doch flexibel“, ist also nur die halbe Wahrheit. Vollständig müsste es heißen: „Du bist doch flexibel … und deshalb bist auch du für die Vereinbarkeit von deinem Job und krankem Kind verantwortlich. Und nicht ich.“ (Allerdings wird der zweite Teil dieses unnetten Gedankens meist höflich von allen Beteiligten verschwiegen.)

„Du machst doch sowieso nur den ganzen Tag in Facebook rum …“
Eine der größten Herausforderungen für ein Selbstständig-Angestellten-Paar ist zu verstehen, dass die beiden Arbeitsformen völlig verschieden funktionieren. Während ein Angestellter für jede Stunde vergütet wird, gibt es in der Selbstständigkeit nicht nur die bezahlten Kundenprojekte, sondern auch eine Meeeenge unbezahlter Arbeit. Dazu gehört neben der Buchhaltung vor allem die Akquise von Kunden, also Social-Media-Marketing, Bloggen, Netzwerken …

Das machen Selbstständige nicht bloß aus Spaß an der Freude (auch wenn es zugegebenermaßen extrem spannend ist, sich mit Gleichgesinnten und potentiellen Kunden auszutauschen) – es ist auch essentiell für die Sichtbarkeit und das Wachstum ihres Business.

Wer es wissenschaftlicher mag: Nach Bourdieu gibt es verschiedene Formen des Kapitals: ökonomisches, kulturelles, soziales und symbolisches. Wenn ein Angestellter für seine Stunden entlohnt wird, erwirbt er ökonomisches Kapitel ganz direkt und in ganz konventionellem Sinne: Er stellt seine Arbeitskraft zur Verfügung und bekommt dafür Geld. Bei Selbstständigen funktioniert das Ganze aber nur über einen Umweg: Bis sie ökonomisches Kapital (Geld) erwerben können, müssen sie sich erst kulturelles (Wissen, Fähigkeiten, ständige Weiterbildung), soziales (Kontakte, Vernetzung) und symbolisches Kapital (Anerkennung als Experte) aneignen. Und zwar jeden Tag aufs Neue …

„Schatz, ich häuf’ dann mal soziales Kapital an …“ Einfacher ausgedrückt: Wenn eine Selbstständige Social-Media-Marketing betreibt, dann treibt sie sich nicht bloß wieder einmal in Facebook rum: Sie investiert in ihr soziales und symbolisches Kapital. Sie knüpft Kontakte. Sie wird sichtbar. Sie stellt ihre Expertise unter Beweis. Ja, niemand bezahlt Selbstständige fürs Bloggen und Co. Doch diese Tätigkeiten sind die Voraussetzung dafür, dass Selbstständige überhaupt jemals zu ökonomischem Kapital kommen können. Und je mehr soziales und symbolisches Kapital eine Selbstständige erwirbt, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie einen Kunden gewinnt und schließlich Geld auf ihrem Konto sieht.

Die Selbstständigkeit funktioniert also anders als ein Angestelltenverhältnis. Doch heißt es automatisch, dass Gleichberechtigung zwischen Selbstständigen und Angestellten unmöglich ist? Nein, heißt es nicht. Was es aus meiner Sicht zum Gelingen braucht, ist das richtige Mindset, Kommunikation und vorausschauende Planung. Doch alles der Reihe nach.

Gleichberechtigung und Selbstständigkeit – 6 Tipps zur erfolgreichen Umsetzung

Tipp #1: Nehmt die Selbstständigkeit ernst

Auch wenn die Selbstständigkeit nach anderen Regeln funktioniert als das Angestelltenverhältnis – es heißt nicht, dass sie weniger wert ist. Gerade am Anfang, wenn die selbstständige Mutter unregelmäßiger oder weniger verdient als der Angestellte, ist das richtige Mindset die halbe Miete.

„Neben der Familie ein eigenes Business aufzubauen, ist eine echte Herausforderung. Ich habe gelernt, dass man diese Herausforderung nur meistern kann, wenn man sich und sein Business – egal wie klein es sein mag – von Anfang an ernst nimmt und dafür einsteht. Denn wenn ich es nicht tue, dann tut es keiner.“   (Ulrike Müller-Siebert, Umfeldbewusstsein)

Von Anfang an für sein Business einstehen – für viele gar keine so einfache Angelegenheit. Da ist es meist die (selbstständige) Mutter, die daheim bleibt, wenn das Kind plötzlich krank wird. Es ist die (selbstständige) Mutter, die „ausnahmsweise mal“ nur einen halben Tag arbeitet, weil der Kindergarten außerplanmäßig um 13 Uhr schließt. Es ist die (selbstständige) Mutter, die die Eingewöhnung übernimmt und dadurch mehrere Tage völlig ausfällt. Es ist die (selbstständige) Mutter, die einen Babysitter organisieren muss, wenn ein wichtiger beruflicher Termin am Nachmittag ansteht. Da gilt eben das Primat der Ökonomie: Solange der Angestellte den Großteil des Geldes verdient, kann er ja auch ruhig weiterarbeiten, wenn die Kinder Magen-Darm-Grippe haben. Und die Selbstständige ist ja sowieso flexibel. Ein Teufelskreis, aus dem ein Paar aber irgendwann ausbrechen muss, wenn die Selbstständigkeit nicht nur eine Nebentätigkeit sein soll, eine Art Hobby, dem frau nachgeht, sobald sie neben Kinder und Haushalt etwas Zeit übrig hat, sondern ein richtiges, offizielles Business.

Tipp # 2: Plant im Voraus

Nach mittlerweile zwei Jahren Selbstständigkeit bin ich eine große Freundin von Plänen geworden. Und damit meine ich nicht bloß diesen schicken Kalender, in den man sich Zahnarzttermine und Kindergartenfeste einträgt. Nee, ich meine das eine Spur größer. Ich rede von Jahres-, Quartals- und Monatsplänen.Im Grunde setzt sich ein Paar zusammen, überlegt und teilt auf:

  • Wann nehmen wir uns zusammen als Familie frei?
  • In welchen Phasen wird es bei dir grundsätzlich eng und wann bei mir?
  • Wann könntest du im Zweifel daheim bleiben, wenn ein Kind krank wird, und wann ich?

Das Entscheidende an der Sache ist nun: Jeder hält sich auch dran. Natürlich ergeben sich auch viele Termine spontan. Aber ein Grundgerüst ist schon einmal da. Wenn ich als Selbstständige vorher weiß, in welchem Zeitraum mein Mann auf Geschäftsreise geht, dann werde ich den Teufel tun und meine Agenda für diesen Zeitraum ebenfalls vollknallen. Andersrum gilt: Wenn ich gerade einen lange Zeit im Voraus angekündigten Pinterest-Online-Kurs launche, dann holt mein Mann – wie vereinbart – den Jüngsten nachmittags vom Kindergarten ab – auch wenn er dafür eine spontan angesetzte Konferenz früher verlassen muss.

„Hast du denn keine Frau?“ – Dass es immer noch eine Herausforderung darstellt, eine gleichberechtigte Partnerschaft nicht nur in der Theorie anzustreben, sondern auch praktisch zu führen – geschenkt. Denn die gesellschaftliche Strukturen und Rollenerwartungen machen es einem nicht gerade leicht. Und bei Vätern wird noch viel zu oft gefragt: „Geht das überhaupt, dass er daheim bleibt, wenn ein Kind krank wird?“ Und noch viel zu oft kommt da ein „Lieber nicht …“ als Antwort. Deshalb verwundert es nicht, dass auch im Jahr 2018 ein Vater, der früher geht, um sein Kind vom Kindergarten zu holen, sich Fragen wie „Hast du denn keine Frau?“ anhören muss. Die einzig akzeptable Antwort ist übrigens: „Ja, hab ich. Schon einmal was von Gleichberechtigung gehört?“ Und wenn der Gesprächspartner dann „Ach so einer bist du!“ entgegnet, dann einfach mal stolz lächeln. Denn Väter müssen sich trauen, „so einer“ zu sein. Mit der Gleichberechtigung ist es nämlich wie mit dem Schwimmen. Es reicht eben nicht aus, nur theoretisch darüber zu reden. Man muss auch ins Wasser gehen.

Tipp #3: Habt immer, immer, immer einen Plan B

Soweit, so gut. Der Plan steht – und alle Beteiligten sind gewillt, ihn auch auch einzuhalten. Geht nun aber niemals, wirklich niemals davon aus, dass alles exakt nach Plan verläuft. Das tut es zwar in neun von zehn Fällen – allerdings nie, wenn es wirklich darauf ankommt. Murphys Gesetz und so. Deshalb hat es sich bei wichtigen Terminen und Deadlines bewährt, immer einen Plan B in der Tasche zu haben. Wer einen wirklich wichtigen Termin hat – ich meine Termine, für die man sich eher die Hand abhacken würde, als sie zu verpassen – kommuniziert also dem Partner im Vorfeld, dass er an Tag x zur Uhrzeit y nicht verfügbar ist, wenn etwas Unvorhergesehenes passieren sollte. Wenn sich der Partner diesen Termin in seinen Kalender einträgt und weiß, dass er im Notfall einspringen muss, sind alle auf der sicheren Seite und können erst einmal durchatmen.

Ja, auch wenn die Kinder eigentlich im Kindergarten oder in der Schule sind … Ja, auch wenn man eigentlich noch den Zug erwischen müsste, um das Kind rechtzeitig von der Kita zu holen … Das Leben verläuft eben nicht immer nach Plan. Und nach einem eigentlich schert es sich sowieso nicht.

„Prinzipiell klappt das Thema Zeiteinteilung mit ein bisschen Übung ganz gut. Routine und Strukturen helfen dabei. Eine gewisse Flexibilität und Spontanität ist aber auch unbedingt nötig, weil weder im Beruf noch in der Familie immer alles nach Plan läuft.“ (Annette Holthausen, Forscherfreunde)

Tipp #4: F*ck Perfektionismus!

Wenn man all die Ansprüche, die die Gesellschaft an Frauen und Männer, Mütter und Väter, Selbstständige und Angestellte stellt, akzeptiert, kann man nur eins: durchdrehen. Deshalb einfach mal drauf pfeifen, dass man in allen Bereichen „nur“ 70 oder 80 Prozent leistet. Wir alle geben jeden Tag unser Bestes. Und gut genug, ist eben genau das: gut genug.

„Was ich sagen kann ist, einfach nicht alles perfekt machen wollen, auch mal Fünfe gerade sein lassen und Prioritäten setzen. Man kann nicht alles haben, ohne irgendwann einen hohen Preis dafür zu zahlen.“ (Corina Dobbertin, Content Courier)

Tipp #5: Baut euch ein Netzwerk auf – und nutzt es

Wenn man ehrlich ist, ist es doch Wahnsinn, dass gerade mal zwei Menschen für eine solch wichtige Aufgabe wie das Aufziehen von Kindern verantwortlich sein sollen. Zum Glück gibt es mit Großeltern, Nachbarn, Freunden oder anderen Eltern viele potentielle Helfer, die nur darauf warten, unter die Arme zu greifen, wenn es eng wird.

„Scheut Euch nicht, zu fragen. Viele Eltern trauen sich nicht, weil sie andere nicht „belästigen“ wollen. Aber da denke ich, alle Eltern sind alt genug um zu sagen: Nein, heute passt es leider nicht, dass Dein Kind am Nachmittag zu uns kommt. Und gerade mit einem Kind fand ich es zum Beispiel immer toll, wenn mein Sohn Freunde da hatte, das war entspannter als ohne. Mir haben diese Eltern-Netzwerke viel gebracht und vor allem haben sie „unproduktive“ Dinge wie Fahrdienste reduziert.“ (Julia Gänzler, kommunikation\küche)

Nicht selten ergibt sich durch ein funktionierendes Netzwerk hin und wieder noch ein Extrastündchen am Nachmittag, das man für die längst überfällige Buchhaltung nutzen könnte. Oder einfach nur zum Mittagsschläfchen, um wieder neue Kraft zu tanken. (Auch nicht zu unterschätzen!)

Tipp #6: Plane genug Pausen und Puffer ein

Die Selbstständigkeit ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Wer Abende und Wochenenden immer zum Arbeiten verplant, dem geht irgendwann die Puste aus. Nach zwei Jahren Selbstständigkeit weiß ich, wie wichtig es ist, Abende und Wochenenden grundsätzlich freizuhalten und nicht als Arbeitszeit mit einzurechnen. Entweder nutze ich dann diese Zeit, um ganz gezielt und bewusst Pausen zu machen und mit meinen Lieben zusammen zu sein. Oder ich habe – wenn es hart auf hart kommt – noch genügend Puffer, um liegen gebliebene Aufgaben zu erledigen und nicht mit beruflichen Deadlines in Verzug zu kommen.

Gleichberechtigung und Selbstständigkeit – ein Fazit

Gleichberechtigung in der Partnerschaft ist auch – oder vor allem – dann ein Thema, wenn jemand selbstständig ist. Neben einem grundlegenden Verständnis für die Besonderheiten der Selbstständigkeit ist es wichtig, sein Business ernst zu nehmen und die verfügbare Zeit fair untereinander aufzuteilen. Kommunikation und Planung sind entscheidend. Wie handhabt ihr es mit der Gleichberechtigung in der Partnerschaft? Wie sind eure Erfahrungen? Habt ihr vielleicht sogar einen Tipp, der bei euch funktioniert?

Beitrag von Alexandra Polunin-Müller, Februar 2018
Mehr über Alexandra erfahrt ihr unter www.alexpolunin.com