Porträt Juli Gerner und Isabelle Kempf zum Thema Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit im Unternehmertum wird immer bedeutsamer. Dabei beinhaltet Nachhaltigkeit viele Aspekte: Vom wirtschaftlichen Erfolg über den schonenden, wiederverwendbaren Einsatz von Ressourcen bis hin zu guten und fairen Arbeitsbedingungen.

Die Parentrepreneurs hatten bei ihrem Netzwerktreffen im April die Nachhaltigkeitspionierinnen Julia Gerner und Isabelle Kempf zu Gast. Julia ist der Kopf hinter dem Heidelberger Schmucklabel fremdformat, das sich durch und durch nachhaltig gestaltet. Isabelle setzt sich seit 2015 mit ihrem Modeladen „umgekrempelt“ mitten in den Mannheimer Quadraten für eine faire und nachhaltige Mode ein. Für ihr Label Pikobella kreiert Isabel originelle Unikate aus Lieblingsstücken. Die parentrepreneurs haben bei Isabelle nachgefragt:

Isabelle, wie kamst du auf die Idee nachhaltige Mode selbst herzustellen und dich auf faire Mode zu konzentrieren? 

Wie bei so Vielen hat es bei mir 2013 Klick gemacht und ich habe mich auf den Weg gemacht. In Dhaka (Bangladesh) stürzte das Gebäude Rana Plaza ein. Über 1000 Menschen starben, weitere 2000 wurden verletzt. Davor hatte ich mir nie Gedanken darüber gemacht, wo die Kleidungsstücke in meinem Kleiderschrank eigentlich herkommen. Da wurde mir schlagartig klar, dass in der Textilindustrie etwas gewaltig schief läuft und ich das nicht mehr unterstützen möchte. Nein, viel mehr wollte ich diejenigen unterstützen, die es anders und besser machen – denn auch die gibt es immer mehr. Fairness in der Produktion und Nachhaltigkeit in Bezug auf die Materialien, aber auch auf unseren Umgang mit der Kleidung, gehen dabei für mich Hand in Hand. Nur wenn man beide Aspekte berücksichtigt, kann man zukunftsfähige Lösungen für die Textilproduktion finden.

Wie bist du auf den Namen „umgekrempelt“ gekommen? 

Ich bin ganz viel Spazieren gegangen und habe überlegt, welcher Begriff in der Lage sein könnte, all das zu transportieren, was mir wichtig ist. Außerdem wollte ich einen Namen, den ich selbst so richtig cool finde, denn ich empfinde ihn als sehr identitätsstiftend für einen Laden. Dementsprechend lange hat es gedauert, bis der Geistesblitz kam. Aber ich bin nach fast 4 Jahren immer noch sehr glücklich damit. Er verbindet sehr gut meine Upcycling-Aktivitäten mit den Mode-Produzenten, die ihre Lieferketten komplett umgekrempelt haben.

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Upcycling, Slow, Fair und Eco Fashion? 

Upcycling ist eine Form der Wiederverwertung von Rohstoffen, wie das Recycling auch. Die Besonderheit ist, dass aus einem vermeintlichen Abfallprodukt (kaputte Jeans, altes Banner) etwas Höherwertiges hergestellt wird (zum Beispiel Turnbeutel), ohne das Material wieder neu zu produzieren. Beim Recycling kommt am Ende etwas Gleichwertiges raus, das gängigste Beispiel ist wohl Recyclingpapier aus Altpapier. Aus der alten Zeitung einen Hut zu falten, ist Upcycling! Fair Fashion und Eco Fashion sind für mich Teilbereiche von Slow Fashion. Bei fairer Mode geht es vor allem um die Produktionsbedingungen, um Arbeitssicherheit und existenzsichernde Löhne. Bei ökologischer Mode geht es um Materialien, um Umweltschutz und Hautverträglichkeit. Wie schon gesagt, funktioniert für mich sowieso nur beides zusammen. Slow Fashion enthält beides und geht noch einen Schritt weiter. Slow Fashion ist eine Haltung. Sie beginnt damit, dass wir unseren Umgang mit Kleidung hinterfragen. Was habe ich schon in meinem Schrank? Trage ich die Sachen auch? Was brauche ich wirklich? Warum gehe ich gerade einkaufen? Weil ich Frust beseitigen möchte oder weil ich wirklich etwas brauche oder mir bewusst etwas gönnen möchte, an dem ich lange Freude haben werde? Fair und Eco Fashion zu kaufen ist eine logische Konsequenz davon. Ich finde es aber auch sehr wichtig, Konzepte wie Second Hand und Kleidertausch mit einzubeziehen und Kleidungsstücke zu reparieren. Deshalb biete ich das bei umgekrempelt auch mit an. Und ich bin erstaunt, wie viele Menschen nicht wissen, dass man Jeans super reparieren kann. Damit spart man nicht nur Geld, sondern auch jede Menge Ressourcen.

Kannst du uns ein wenig über deine Erfahrungen als selbständige Unternehmerin erzählen? 

Ich bin damals einfach losgegangen – mit einem starken inneren Antrieb zum Weltverbessern. Das Konzept kam dann nach und nach und wurde immer klarer. Ursprünglich sollte es ein Nähcafé werden. Das habe ich dann erstmal hinten angestellt und verfolge es jetzt mit meinen Workshops wieder verstärkt. Für mich ist wichtig, dass immer ein roter Faden erkennbar ist, so dass die Leute wissen, was sie bei mir im Laden erwarten können. Und auf dieser Basis lasse ich meiner Kreativität freien Lauf! So überrasche ich mich und meine Kunden auch immer wieder selbst – und ich bin gespannt, was da noch alles kommt. Das ist für mich das tolle als Unternehmerin, dass ich meine Ideen umsetzen kann. Wenn ich heute einen Turnbeutel nähe, dann kann ich ihn 5 Minuten später verkaufen, weil ich ihn nur ins Schaufenster hängen muss und er wird gesehen.

Du stellst auch eigene Produkte her, welche sind bei deinen Kunden besonders beliebt? 

Der eben genannte Turnbeutel ist eindeutig das beliebteste Produkt von meiner Eigenmarke pikobella. Man kann mir auch eigene kaputte Kleidungsstücke bringen und ich mache den Turnbeutel daraus. So hat man nicht nur ein Unikat, sondern sogar eines mit ganz persönlichen Erinnerungen. So bekommen lädierte Lieblingsstücke eine zweite Chance.

Welchen Tipp hast du an Familien, wie man den Alltag nachhaltiger gestalten kann? 

Mein Tipp ist zu schauen, welcher Abfall im Alltag besonders häufig anfällt, denn da hat eine Veränderung dann die größte Wirkung. Wir sind zum Beispiel eine Heuschnupfenfamilie und sind irgendwann in meiner Jugend auf Stofftaschentücher umgestiegen. Das hatte eine riesige Auswirkung bei uns, weil unser Verbrauch für Papiertaschentücher vorher enorm war. Abgesehen davon hatten wir viel weniger wunde Nasen mit den Stofftaschentüchern. Vor kurzem habe ich bei uns die Küchenrolle durch alte Socken, Unterhosen und T-Shirts ersetzt. Einfach in gebrauchsfertige Stücke schneiden und in ein Utensilo oder eine Stofftasche packen. Wenn sie griffbereit sind, dann sind sie echt praktisch. Je nachdem kann man sie dann einfach wegwerfen oder immer wieder waschen. Ich glaube ganz entscheidend ist, dass die Veränderungen, die man sich vornimmt, praktisch sind und Spaß machen. Denn dann bleiben wir dran und schaffen tatsächlich eine dauerhafte Veränderung. Niemand muss von heute auf morgen alles richtig machen, das würde auch gar nicht funktionieren. Lieber machen viele Leute viele kleine Schritte mit viel Freude und die dann auch wirklich langfristig.

Julia,fremdformat kreiert nachhaltigen und fairen Schmuck. Woher kommen Eure Materialien und was hat es mit Gold auf sich?

Bei der Schmuckherstellung kommen bei uns hauptsächlich industrielle Materialien zum Einsatz, welche als Reste in der metallverarbeitenden Industrie anfallen und dadurch Unikate mit einzigartigem Charakter entstehen lassen. Für vergoldete Elemente in der Kollektion wird Recycling Gold bzw. Silber verwendet. Auf Edelmetalle und -steine, welche unter fragwürdigen Bedingungen für die Schmuckindustrie gewonnen werden, wird komplett verzichtet. Um Ressourcen bewusst und umweltschonend zu nutzen, werden die Rohmaterialien von hauptsächlich lokal ansässigen ProduzentInnen bezogen. Warum machen wir das? Der Gold- und Silberabbau geht mit erheblichen Schaden für Mensch und Umwelt einher. Um zwei Beispiele zu nennen: für die Herstellung eines einzigen  Goldrings fallen 20 Tonnen Giftmüll an. Das muss man sich mal der Zunge zergehen lassen. Ein weiteres Problem des Abbaus: schätzungsweise arbeiten alleine in Afrika eine Millionen Kinder in Goldminen.

Wie und wo vertreibt ihr eure Produkte?

Wir produzieren jedes Schmuckstück in Handarbeit und stellen unseren Schmuck meistens in Kleinserie her. Produziert wird immer auf Bestellung, so haben wir keine Lagerware, die man am Ende der Saison im Sale verschleudern muss. Man kann sich bei uns aber selbstverständlich auch ein Unikat anfertigen lassen. Wir verkaufen unseren Schmuck über unseren Online-Shop fremdformat.de, über unser STUDIO (Bergheimer Str. 29, HD) und über andere faire Concept Stores deutschlandweit und in der Schweiz.

Du hast berichtet, dass ihr nicht nur in der Produktion, sondern auch im Alltag sehr auf Nachhaltigkeit achtet. 

Wir haben bei fremdformat schon immer darauf geachtet, dass Thema Nachhaltigkeit ganzheitlich anzugehen. Zum Beispiel, dass wir plastikfrei verpacken und verschicken, unsere CO2 Emissionen ausgleichen und einen regionalen Öko-Strom Anbieter nutzen. Persönlich achte ich beispielsweise darauf, Einmal-Plastik-Verpackungen zu meiden und meinen Konsum ganz allgemein immer wieder kritisch zu überdenken, viel Second Hand kaufen usw.

Welche Tipps hast du an Gründerinnen bzgl. Sustainability, die zu berücksichtigen es sich lohnt?

Meiner Meinung nach muss sich jede Gründerin mit dem Thema auseinander setzen, da wir keine andere Wahl mehr haben. Man sollte jede Entscheidung auch hinsichtlich der Nachhaltigkeit überdenken und sich fragen, was in dieser Situation die nachhaltigste Lösung ist. Gründungen, die nur auf wirtschaftlichen Erfolg gedacht sind und sich nicht mit den Folgen ihres Handelns für die Umwelt beschäftigen sind nicht mehr zeitgemäß.

Liebe Isabelle und Julia, herzlichen Dank für das spannende Interview.