Prof. Dr. Astrid Hedtke-Becker spricht über Angehörigenpflege und gegenseitige Aufgaben: “Man hat auch eigene Bedürfnisse”
Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland ist seit 1999 um 16 Prozent gestiegen, wie das Statistische Bundesamt am Montag bekanntgab. Mehr als zwei Drittel davon werden zu Hause versorgt – oft auch durch Angehörige. Die Pädagogin und Gerontologin Prof. Dr. Astrid Hedtke-Becker beschäftigt sich in ihrer aktuellen Forschung unter anderem mit dem Thema ‘Zuhause wohnen bis zuletzt’. Im Gespräch schildert sie, worauf es bei der Pflege durch Angehörige ankommt.
Was bedeutet Pflege durch Angehörige überhaupt?
“Es gibt natürlich nicht nur die Generationenpflege, sondern auch die Partnerpflege. In beiden Fällen gilt: Für viele ist das nicht unbedingteine Last , sondern sie wollen etwas von dem zurückgeben, was sie bekommen haben. Die Pflege eines Angehörigen kann zwar auch eine Geldersparnis sein, oft spielt aber auch der Wunsch nach einer intakten Welt eine große Rolle. Aber selbstverständlich ist diese Form der Pflege auch immer mit einer gewissen Belastung verbunden.”
Was wünschen sich zu Pflegende?
“Älteren geht es nicht anders als Jüngeren: Sie wollen ihre Autonomie behalten. Deshalb sollte man ihre Wünsche respektieren. Umgekehrt wollen Pflegende nicht selten zu viel des Guten, wenn sie zum Beispiel ihren Job zugunsten der Pflege aufgeben. Doch eine gelungene Pflege braucht Respekt und Distanz. Partnern fällt das oft leichter als Kindern. Deswegen ist es wichtig, dass Kinder ihre Eltern auch weiter als diese wahrnehmen, so dass es zu keiner Rollenumkehrung kommt. Wenn Kinder merken, dass ihre Eltern nicht mehr können, wie sie wollen, sollten sie nicht versuchen, über sie zu verfügen. Besser ist es, im Gespräch herauszufinden, wie die Älteren leben wollen. Die meisten wünschen sich, so lange wie möglich zu Hause zu bleiben. Es gibt aber auch andere, die möglichst früh in ein schönes Heim ziehen wollen, um noch Kontakte zu den anderen Mitbewohnern aufbauen zu können.”
Wollen Ältere eher von Angehörigen oder von Fachpersonal gepflegt werden?
“Vor allem Ältere, die selbst einmal gepflegt haben, wissen, welche Belastung damit einhergehen kann und wollen deshalb nicht von Angehörigen gepflegt werden. Die Kombination einer Pflege von Angehörigen und Fachdiensten ist meiner Meinung nach optimal. Sie wird aber wenig genutzt. Oft wollen die Älteren keine Fremden in ihrer Wohnung. In solchen Fällen kann es hilfreich sein, wenn einmal die Woche Fachpersonal vorbeikommt, von dem sich die Angehörigen beispielsweise Abläufe zeigen lassen können. Auch kann sich so eine gewisse Gewöhnung einstellen.”
Was können pflegende Angehörige überhaupt leisten?
“Sie können auf jeden Fall familiäre Geborgenheit geben. Umso wichtiger ist es, schon vor Beginn der Pflege Fachpersonal einzubinden. Eine gute Beziehung zum Pflegedienst ist unersetzlich. Der Fachblick sollte von Seiten der Angehörigen unbedingt einbezogen werden, gerade bei Krankheiten, die eine Verschlechterung des Allgemeinzustands erwarten lassen. Angehörige sollten auf keinen Fall denken, dass sie es unbedingt alleine schaffen müssen. Wichtig ist, dass Pflegende und zu Pflegender rechtzeitig gemeinsam Kontakt aufnehmen.”
Wie können sich pflegende Angehörige entlasten?
“Zum Beispiel durch Pflegedienste oder Hauswirtschaftshilfen. Auch sollten sollten sowohl die Kinder als auch die Eltern ihre eigenen Kontaktnetze pflegen können. Es ist wichtig, nicht auf das eigene Leben zu verzichten: Deshalb ist es auch sinnvoll, sich für kleine Pausen mal Hilfe zu holen. Wichtig ist es deshalb, gleich zu Beginn der Pflege deutlich zu machen, dass man auch eigene Bedürfnisse hat. Nach längerer Pflege wird es sonst schwierig. Im Durchschnitt liegt die Pflegedauer bei acht Jahren.”
Was ist in der Angehörigenpflege sonst noch wichtig?
“Bereits im Vorfeld sollte man eine Art Bestandsaufnahme der Beziehung machen: Zum Beispiel wie trägt sie – wie steht es mit dem Respekt. Sonst kann es schnell zu schwierigen Situationen kommen – zum Beispiel wenn man die Erlaubnis braucht, um mal abzuschalten. Man hat nicht nur die Verantwortung für den zu Pflegenden, sondern auch die, sich um sich selbst zu kümmern.”
(Quelle: © RNZ, Constanze Werry, vom 23.02.2011)